Es gibt Schachfreunde, deren Leistungen man erst im Rückblick richtig würdigen kann. Oft sind es die, die nicht durch große Taten auf dem Schachbrett auffallen, sondern unauffällig im Hintergrund wirken und doch so wichtig für das Funktionieren eines Vereins oder Verbandes sind. Heute jährt sich zum 83. Mal der Geburtstag eines solchen Menschen, und weil unsere Wege mehrere Jahre parallel verliefen, erschien es mir angemessen, einige Worte über ihn zu verlieren.
Das Schachspiel kann in der saarländischen Kreisstadt Neunkirchen auf eine lange Tradition zurückblicken. Seine Spuren reichen bis ins Jahr 1914 zurück, als der „Schachklub Neunkirchen“ gegründet wurde. Im Laufe der Zeit wurde nicht nur der Name geändert, sondern es entstanden auch weitere Vereine in der früheren Hüttenstadt. Die bedeutendste Schachpersönlichkeit Neunkirchens war sicher Ernst Weichselbaumer, der das damals unabhängige Saarland bei den Schacholympiaden 1952, 1954 und 1956 vertrat. Als ich 1987 ernsthaft mit dem Schachspielen begann, waren jedoch die großen Zeiten des Neunkircher Schachs vorbei. Es existierte noch ein kleiner Verein, die Schachabteilung der Kolping-Familie Neunkirchen, in der ich folglich meine ersten schachlichen Schritte unternahm. 1992 spaltete sich von der Kolping-Schachabteilung ein zweiter Verein ab, die Schachfreunde Neunkirchen, die in den Folgejahren eine beachtliche Aktivität entwickelten. Treibende Kraft des neuen Vereins war ein gewisser Frank Beyer-von Gablenz. Persönlich lernte ich ihn kennen, als er 1995 bei einem der Spielabende der Kolping-Schachabteilung vorbeikam. Es schien ihm gut bei uns gefallen zu haben, denn zur Saison 1995/96 war Frank für meinen Verein gemeldet. Die Spaltung des Schachs in Neunkirchen in zwei Vereine, die sich auch noch in ausgeprägter Antipathie gegenüberstanden, war übrigens mit Sicherheit ein Grund, warum beide Vereins langfristig auf keinen grünen Zweig kamen. Heute sind sie längst von der Landkarte verschwunden, so dass die eigentlich unfassbare Situation entstanden ist, dass in der zweitgrößten saarländischen Stadt kein Schachverein mehr existiert. Doch das ist eine andere Geschichte, die an anderer Stelle erzählt werden sollte.
Unsere Hoffnung, dass sich Frank zu einem Leistungsträger der Schachabteilung der Kolping-Familie entwickeln würde, erfüllte sich nicht. Seine Spielstärke lag irgendwo im Bereich 1500-1600 DWZ, was für meinen damaligen Verein gar nicht so wenig war. Doch Franks eigene Erzählungen weckten stets die Hoffnung nach viel mehr. Er ließ gerne durchblicken, er habe in Dresden, wo er am 14. September 1940 geboren wurde, zahlreiche Erfolge gehabt. Nach seiner Flucht in den Westen habe er beim Zweibundesligisten Delmenhorst gespielt. Seine Spielstärke habe nach einem Unfall, den er beim Bergsteigen erlitten habe, deutlich gelitten. Und übrigens würde auch noch ein größeres Erbe in der ehemaligen DDR auf ihn warten. Was von diesen Geschichten Dichtung und was Wahrheit war konnte man Mitte der 1990er Jahre ohne die allumfassenden Möglichkeiten des Internets quasi nicht überprüfen. Franks Leistungen am Schachbrett überzeugten uns aber zumindest bald, dass er kein schachlicher Überflieger (mehr?) war: 2/5 Punkte in der Saison 1995/96, 4,5/8 in der Saison 1996/97, 4,5/6 in der Saison 1997/98, jeweils in der saarländischen Kreisliga.
Doch weit mehr als durch seine Ergebnisse half Frank meinem Verein auf anderem Gebiet, ohne – soweit ich mich entsinne – selbst Vorstandsmitglied gewesen zu sein. Mein Verein gab damals für seine Mitglieder eine Vereinszeitung unter dem Namen „En Passant“ heraus, die viermal jährlich erschien. Zunächst waren dies ein paar Seiten, die ich auf meinem Nadeldrucker ausdruckte und die danach kopiert und zusammengeheftet wurden. Frank hob „En Passant“ optisch auf ein ganz neues Level. Er arbeitete mit dem professionellen Layoutprogramm QuarkXPress, was man der Vereinszeitung sofort ansah. Auch die Urkunden, die Frank zu den verschiedenen Turnieren entwarf, die wir in den Jahren 1995-1997 durchführten, sind eine wirkliche Augenweide.
Das Spiel wiederholte sich nahezu identisch bei Franks zweitem Verein, zu dem er zusammen mit mir 1997 wechselte. Der SV Spiesen-Elversberg war in vielerlei Hinsicht eine ganz andere Welt als die Kolping-Schachabteilung: größer, stärker, mit einigen Spielern gesegnet, die in ihrer besten Zeit (heute pflegt man im Sportjargon den Begriff „Prime“ zu verwenden) zumindest zur erweiterten saarländischen Spitze gehörten: Jürgen Mathieu, Alexander Fuchs, Dmitro Morenko, Gennadi Merissow. Spiesen-Elversberg etablierte sich in den Jahren, in denen ich dort Mitglied war, zunehmend in der Spitze der saarländischen Landesliga (heute Saarlandliga) und hätte unter anderen Umständen sehr wahrscheinlich mittelfristig den Sprung in die Oberliga Südwest geschafft. Stattdessen zerbrach der Verein an internen Differenzen, zahlreiche Spieler wechselten zu anderen Vereinen und nach mehreren Abstiegen stellte der SV Spiesen-Elversberg nach der Saison 2009/10 seinen Spielbetrieb ein. Auch dies wäre eines eigenen Artikels wert.
Diese Entwicklung erlebte Frank nur noch „von außen“ mit. Im April 1998 verließ er Spiesen-Elversberg und schloss sich dem SC GEMA St. Ingbert an. In der Rückschau kann ich sagen, dass wir weder bei der Kolping-Schachabteilung Neunkirchen noch beim SV Spiesen-Elversberg auch nur annähernd das Potential würdigten, das Frank mitbrachte. Auf uns – und hier muss ich mich durchaus einschließen – wirkte er oft wie ein großspuriger Sprücheklopfer, dessen spielerisches Niveau nicht mit seinem Gerede mithalten konnte. Heute ist mir sehr bewusst, dass ein fähiger Funktionär einem Verein viel mehr geben kann als ein fähiger Spieler.
Über die Zeit bei GEMA St. Ingbert, dessen Vorsitz er sogar 2008 übernahm, müssten seine damaligen Vereinskameraden berichten. Ich hatte mit Frank in der Folgezeit nur insofern zu tun, als er auch in verschiedenen Funktionen im Vorstand des Saarländischen Schachverbandes tätig war. Auch hier spielte seine Affinität zum Computer und der Textgestaltung eine wichtige Rolle. Frank war über viele Jahre Redakteur der ‚Rochade Saarland‘, des saarländischen Regionalteils der ‚Rochade Europa‘. Zwischenzeitlich gab er mit dem ‚Saar-Schach-Journal‘ ein unabhängiges Organ mit dem Fokus auf das saarländische Schach heraus und veröffentlichte es auf der Homepage des SC GEMA. Er verfasste die „Geschichte des Saarländischen Schachverbandes, der Vereine des Verbandes unter dem Gesichtspunkt der Stadtentwicklung“ (Neunkirchen 2007) und das 29seitige Portrait „Herbert Bastian. Der Weg nach oben“ (Neunkirchen 2008) über den langjährigen saarländischen Ausnahmespieler Herbert Bastian. Er wirkte an der Festschrift anlässlich des 75jährigen Bestehens des Saarländischen Schachverbands (Saarbrücken 1996) und der durch Wolfgang Maier verfassten Chronik „Schach an der Saar“ (Band 1, Saarbrücken 2009) mit. Eine Geschichte des Schachs in Neunkirchen, die er 2002 anlässlich des 50jährigen Bestehens der SVG Neunkirchen (des Nachfolgevereins der Kolping-Schachabteilung) erstellte, liegt mir als Datei vor, sie wurde jedoch meines Wissens nie veröffentlicht. Vielleicht sind mir noch andere Schriften entgangen, doch sollte diese Aufzählung einen guten Eindruck von Franks Tätigkeit geben.
Zudem bekleidete Frank viele Jahre lang das Amt des saarländischen Lehrwarts und führte in dieser Funktion Ausbildungsveranstaltungen für Trainer und Schiedsrichter durch. Für seine zahlreichen Verdienste wurde er im Jahr 2000 mit der silbernen Ehrennadel des Saarländischen Schachverbands ausgezeichnet. 2010 wurde er zu dessen Ehrenmitglied gewählt.
Frank verstarb am 11. Juni 2016 im Alter von 75 Jahren. Auf der Homepage seines letzten Vereins findet sich ein Nachruf, dem ich auch das Portraitbild am Anfang dieses Artikels entnommen habe. Dennoch, so fürchte ich, ist er in der saarländischen Schachszene mittlerweile weitgehend vergessen. Insofern ist die Überschrift „Das Lob des unbekannten Funktionärs“ auch für Frank passend, obgleich er sicher bekannter war als viele andere Schachfunktionäre. Ich hätte auch Namen wie Herbert Gensheimer und Willi Weichsel (Neunkirchen), Peter Hemmerling (Spiesen-Elversberg) oder Edgar Velten (Schwarzenbach) nennen können, die ich während meiner Zeit im Saarländischen Schachverband kennenlernen durfte und denen – im Rückblick – eine deutlich wichtigere Rolle zukam als mir seinerzeit bewusst war.
Ich hoffe, dass dieses kleine und natürlich völlig subjektive Portrait dazu beiträgt, zumindest einen dieser Schachenthusiasten wieder etwas in Erinnerung zu rufen.